Mit der Absicht, mehr über Juist zu schreiben und nützliche Tipps für Urlauber und Nordeefans zu geben, haben wir Mitte Juni ein Wochenende auf unserer Lieblingsinsel verbracht – eine der zahlreichen. Dann allerdings kam alles ganz anders.

Voller Elan und Freude darüber, dass die Reisebeschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie Ende Mai gelockert wurden, hatten wir uns Mitte Juni ein Wochenende Juist gegönnt. Marion freute sich auf ein paar Tage auf „ihrer“ Insel und ich tüftelte eifrig an Tagestour-Beschreibungen, Artikeln über die Insel-Historie und ein paar Reisetipps.

Aber – so richtige Schaffensfreude wollte nicht aufkommen. Reiseblogs, die brav Tourbeschreibungen und Restauranttipps abliefern, gibt es schließlich – auch über die Ostfriesischen Inseln – wie den sprichwörtlichen Sand am Meer, und eine zündende Idee, wie ich es anders machen könnte, ließ weiter auf sich warten.

Erst ein völlig absurder Fund auf den Stufen unserer beschaulichen Pension – was da lag, wird noch nicht verraten – gab den entscheidenden Impuls. Bei einer erstklassigen Pizza und einem Rotwein bei „da Pietro“ in der Hellerstraße entstand die Idee zu einem Juist – Roman. Inzwischen – vier Wochen später – steht die Story, und die ersten Kapitel sind im Kasten.

Ist das Juist? Und: Was ist das für ein Gerät?

Nachfolgende Leseprobe soll vor allem zwei Fragen aufwerfen: Erkennen Juist-Fans in diesen Absätzen „ihre“ Insel wieder? Und: Wird einigermaßen klar, wie der beschriebene Picknick-Grill aussieht. Der wird im weitere Verlauf der Geschichte eine zentrale Rolle spielen, deshalb ist es wichtig, dass sich die Leser halbwegs vorstellen können, wie er funktioniert. Und ja, die Surf-Hütte am Strand gibt es nicht, die habe ich erfunden.

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Sorgfältig packte Ben die Spieße mit den Limetten-Shrimps und die Kabeljau-Loins mit Zitronengras in die Kühltasche. Darin befanden sich bereits, neben zwei frostüberzogenen Kühlakkus, eine Flasche
Crémant d´Alsace und zwei Sektgläser. Zwei Teller, Besteck und ein paar Grillutensilien hatte er bereits in der Satteltasche seines Fahrrades verstaut, in der nun auch Essen und Trinken verschwand. Aus der anderen Tasche ragte ein kleiner Picknickgrill heraus, den Ben bereits nach dem letzten Gebrauch wieder mit Holzkohle gefüllt hatte. Das tat er immer, dann stand das gute Stück stets bereit, wenn ihm spontan nach einem kleinen BBQ war. Ben mochte das ausgeklügelte Prinzip dieses kleinen Wunderwerks. Auf den ersten Blick hätte man es für eine Werkzeugkiste halten können: Ein hochkant stehender, schwarzgrauer, metallener Quader von vielleicht 50 cm Höhe. Klappte man ihn auseinander, bot er auf zwei Grillflächen genügend Platz, um komfortabel ein Picknick für zwei zubereiten zu können.

Er war seit Tagen völlig aus dem Häuschen, denn nach mehreren erfolglosen Versuchen, Dora zu daten, hatte sie vor einigen Tagen zu seiner großen Überraschung zugesagt, als er sie auf ein Picknick einlud. Er fühlte sich von Dora immer noch ein wenig als vergeistigt und unnötig problembeladen bespöttelt, ließ sich dadurch allerdings nicht entmutigen. Er mochte sie und wollte wissen, was geht.

Als Ben das Deichschart an der Bahnhofstraße erreichte, wartete Dora bereits auf ihn. Sie war gut gelaunt und strahlte ihn an. „Na?“ fragte sie frech und radelte auch schon los. Ben musste sich sputen, um hinterher zu kommen. Ihre weite, grün bedruckte Leinenhose flatterte.

Es war wenig los auf der Straße zum Flugplatz. Ende August neigte sich die Saison dem Ende zu. Die Sommerferien waren vorbei, und in den kommenden Wochen sollten nur noch wenige Gäste länger als ein Wochenende bleiben. Zugvögel sammelten sich in der sanften Spätsommersonne und pickten mit ihren langen Schnäbeln emsig Würmer und kleine Krebse aus dem schwarzgrau glänzenden Wattboden. Das heisere Tuckern einer anfliegenden BN Islander übertönte kurz das vielstimmige Konzert der schrillen Vogelrufe, bevor die blau-weiße, zweimotorige Maschine in Richtung Landebahn verschwand und die Kiebitze, Austernfischer und Strandläufer wieder übernahmen; die Luft war erfüllt von Salz und dem Geruch des Wattenmeeres. Dora radelte voran und sang leise etwas von einem Strand, einem Zimmer und dass sie dort für immer bleiben würde. Gelöst lächelnd sog Ben die Szenerie in sich auf; zu seiner eigenen Überraschung erfüllte ihn plötzlich eine tiefe Entspannung und Zufriedenheit – erstmals nach den schrecklichen Erfahrungen der letzten Monate.

Die beiden bogen links in den Weg zum Café Wilhelmshöhe ein und stellten ihre Räder ab. Ben schnaufte ein wenig, als er, beladen mit zwei Taschen, durch den lockeren Sand über die Düne zum Strand stapfte, lächelte Dora aber freudestrahlend zu, als sie sich nach ihm umschaute und deutete mit einem Nicken auf die offene Hütte, die die Surfer dort im Frühjahr gebaut hatten.  Der Unterstand war einigermaßen geräumig und bot an zwei massivhölzernen Tischen Platz für vielleicht zehn Personen.

Ben packte seine Leckereien aus und entkorkte den Crémant. Wenigstens für den Moment blieb Dora ihm gegenüber reserviert, fand aber Gefallen daran, ihm bei seinen Vorbereitungen zuzuschauen. „Er kann kochen.“ dachte sie. Es heißt ja, Männer, die gut kochen können, seien auch gute Liebhaber. Es war schon eine ganze Weile her, dass sie einen Mann in ihre Nähe gelassen hatte. Aber der hier? Ben war satte 17 Jahre älter als sie und so ganz anders als die Typen, mit denen sie bis jetzt… „Also dann,“ unterbrach Ben ihre Gedanken, „Picknick am Strand!“ Auffordernd hielt er ihr ein gefülltes Glas hin. Sie stießen an, nippten beide einmal – der Crémant war perfekt gekühlt – dann machte sich Ben an seinem Grill zu schaffen. Öffnete die Lüftung am oberen Ende und entzündete in einem kleinen Fach am Boden des Grills ein paar Paraffinwürfel. „Was wird das?“ fragte Dora, eher ein wenig amüsiert ob der merkwürdigen Konstruktion. „So entzünden sich die Kohlen.“ dozierte Ben. „Durch den Kamineffekt steigen die Flammen nach oben und die Kohlen glühen von ganz alleine durch.“ – „Aaaha!“ Seine jungenhafte Begeisterung gefiel ihr. Der sonst meist etwas unglücklich und tölpelhaft wirkende Mittfünfziger war plötzlich anscheinend voll in seinem Element. Sie plauderten über dies du das, bis sich Dora schließlich ein Herz fasste. „Gibt es eigentlich eine Frau Steinke?“ – „Sie meinen meine Mutter?“ flachste Ben zurück. „Neiiin, ich meine, ach kommen Sie: Frau, Familie, Kinder, Häuschen im Grünen? Haben Sie sowas?“ Im Kopf rechnete Dora kurz nach. In seinem Alter dürften seine Kinder vielleicht schon erwachsen und aus dem Haus sein – und unter Umständen gar nicht so viel jünger als sie selbst. Ein Detail, das ihr etwas Unbehagen bereitete. „Hatte ich,“ antwortete Ben zögerlich, „ist schon eine Weile her. Kleinbürgerliche Idylle ist anscheinend nichts für mich. Ich habe zwei Teenager, die sehe ich zum Glück recht häufig. Aber dieser übliche Spießertriathlon – Kinder zeugen, Haus bauen, Karriere machen – nah! Hab ich gründlich vermasselt und steht mir auch nicht besonders gut.“ – „Au weia,“ dachte Dora, „Arschbombe ins Wespennest.“

Vorsichtig und mit dicken Handschuhen klappte Ben den Grill auseinander – „TA-DAAA!“ – pinselte etwas Olivenöl auf die gusseisernen Grillroste und platzierte achtsam die Shrimps und die in hauchdünnes Zedernholz gewickelten Fischfilets darauf. Bald erfüllte ein köstlicher Duft den grob zusammengezimmerten Unterstand.

Es schmeckte köstlich! „Woher können Sie eigentlich so gut kochen?“ wollte Dora wissen, während sie mit einem Stück Baguette den letzten Rest Fischsud auftupfte. „Es gibt zwei Dinge, die ich von meinem Vater gelernt habe,“ sagte Ben, „Erstens: Man darf nie zu faul zum Denken sein. Und zweitens, wie man kocht und genießt. Aber,“ er schenkte nochmal nach, „jetzt hör doch mal langsam mit diesem sperrigen ‚Sie‘ auf.“ Wieder setzte Dora dieses spitzbübische Grinsen auf, bei dem ihre Zungenspitze ganz leicht die Schneidezähne berührten. „Endlich mal eine Normale.“ dachte Ben.

Der Himmel bezog sich, und die beiden räumten langsam zusammen. „Wie machen wir das mit dem Grill?“ fragte Dora. Die Holzkohlebriketts glühten noch mit voller Hitze. „Pass auf!“ Ben machte eine auftrumpfende Geste. Er klappte das kleine Wunderwerk einfach wieder zusammen und stellte es hinter die Surfhütte, wo es keinen Brand auslösen konnte. „So reinigt er sich selbst. Der ganze Siff vom Grillen verbrennt jetzt einfach. Morgen früh ist er ausgekühlt, dann hole ich ihn ab.“ Eine kleine Rauchsäule stieg aus dem Blechquader.